Zurück
Eröffnung: Fr, 04.02.2022 | 15 Uhr
Salzburger Kunstverein
05.02.2022 - 13.03.2022

Is it Me? Am I the Drama? Jahresausstellung 2021

Der Titel „Is it Me? Am I the Drama?“ gibt dieser Diversität von unterschiedlichen künstlerischen Positionen einen narrativen und performativen Raum, um in vielfältiger Weise Themen der Gegenwart zu besprechen. In zahlreichen Tik Tok und Instagram Reels reüssiert derzeit das dem Titel entlehnte Audio-Zitat der US-amerikanischen Drag Queen Scarlet Envy, das aus dem Off Clips von Personen und Haustieren ironisch kommentiert. Die Handlungspraxis, eine multiple Fremd- und Selbstbildkonstruktion mit einer queeren Identität zu überschreiben, unterstützt die Lesbarkeit der Ausstellung, um die Diversität aller möglichen Ansatzpunkte zu öffnen und im Sinne der Vielfalt keine trennbaren Unterschiede mehr zu setzen. Die spielerische Selbstüberschreibung zwischen Kunstwerk, Künstler_in und Betrachter_in ist zentrale Intention der Ausstellung, um im Sinne der aktiven Teilnahme die individuelle Selektion der Werke mit der kulturellen und sozialen Identität des Individuums zu vernetzen. So sind dem Titel entsprechen alle gleichermaßen angesprochen. Die Jahresausstellung ist wieder, wie die letzten Jahre, eine Verkaufsausstellung.

 

Künstler_innen: Motahar Amiri, Alpine Gothic, ARTgenossen, Julia Brennacher, Jari Genser, Johannes Gierlinger, Lisa Großkopf, Gunda Gruber, Elisabeth Grübl, Katharina Gruzei, Tina Hainschwang, Isabella Heigl, Eginhartz Kanter, Margareta Klose, Sigrid Langrehr, Christiane Peschek, Nicole Prutsch, Beate Ronacher, Elisabeth Schmirl, Manuel Tozzi, Micha Wille, Julia Zöhrer

 

Kuratorin: Karin Pernegger

Der identitätsüberschreibenden Punch-Line „Is it Me? Am I the Drama?“ setzt Micha Wille (geb. 1978 in Landeck, lebt in Wien) ihre großformatigen Malereien aus. Meist auf weißem Grund freigestellt, verbindet sie populär-kulturelle Bezüge mit kritischen und feministischen Denkansätzen zur Kunst. Diese Sprache sprechen auch ihre Bildtitel, wie eines der ausgestellten Werke zeigt: „Ich weiß, dass dein Kunstbegriff direkt auf mein Herz gerichtet ist, aber I’ve got My Tongue Sticking out to Protect Me.“

 

Mit den Themen des Zusammenlebens im Kontext einer queer-feministischen, künstlerischen Praxis beschäftigt sich Margareta Klose (geb. 1993 in Berlin, lebt in Salzburg, Wien und Brüssel). Die zwei Sitzsäcke in Donut-Form hat sie 2021 im 2. Wiener Gemeindebezirk gemeinsam mit Karl Michael konzipiert und als Begegnungsplattform für Stadtteilbewohner_innen unterschiedlicher Herkunft im öffentlichen Raum realisiert. Hierzu organisierte sie diverse Treffen in Frauengruppen und Kochkursen zum gemeinsamen Austausch.

 

Die diesjährigen Preisträger des Salzburger Kunstvereins, das 2009 gegründete Künstlerkollektiv Alpine Gothic (bestehend aus Christine Breitfuß geb. 1971 in Schwarzach im Pongau, Erik Hable geb. 1968 in Linz, lebt in Salzburg und Wolfgang Wirth geb. 1966 in Innsbruck, lebt in Wien), arbeiten mit unterschiedlichen partizipativen, performativen und ortsbezogenen Interventionen zum gegenwärtigen Kultur-, Kunst- und Heimatbegriff. In der Ausstellung ist ein Werk aus der Serie „Alpenglühen am Wiesenrand“ (2018-2019) zu sehen, zu dem sie gemeinsam mit dem Maschinenring Landesgeschäftsstelle St. Johann nicht nur die Farbe des Alpenglühens bestimmten, sondern auch mit diesem Farbton unterschiedliche Felgen von Nutzfahrzeugen im landwirtschaftlichen Gebrauch lackierten.

 

Die Ich-Konstruktion des Menschen an der Schnittstelle zwischen digitalem und realem Raum nimmt Christiane Peschek (geb. 1984, lebt und arbeitet in der Cloud) in ihre künstlerische Auseinandersetzung auf. Die Wandschrift „Trapped on the Surface“ ist für Betrachter_innen nur durch Blitzlicht und digitale Bildaufnahme länger sichtbar. Den Schriftzug kombiniert sie mit einer digital überarbeiteten Porträtansicht auf Polar-Fleece, das mit seiner Unschärfe auf die oben beschriebene Selfie Kultur reflektiert.

 

In ihrem Video „Sancta Barbara – Abgesang an den Kohleabbau“ untersucht Sigrid Langrehr (geb. 1968 in Salzburg, lebt in Salzburg) anhand des Niedergangs des Bergbaus eine letztverbliebene Männerdomäne. Diese Welt ist voll von Helden, Heiligen, Mythen und Ängsten, sowie Sehnsuchts- und Märchencharakteren. Der fiktive Choral und der Titel des Filmes beziehen sich auf die heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergarbeiter, den die Künstlerin mit Found-Footage Szenen unterlegt, die sie mit einem speziell entwickelten Filter bearbeitet und collagiert hat.

 

In ihrer Videoarbeit “Yaw” vereint Katharina Gruzei (geb. 1983, lebt in Linz) unter dem Begriff der „Goldhaube“ zwei vermeintlich ferne Welten. Neben dem brauchtümlichen Kopfschmuck, der mit diesem Begriff bezeichnet wird, trägt auch das militärische Luftüberwachungs-System Österreichs den Namen “Goldhaube”. Die Künstlerin greift diesen Aspekt auf und widmet sich dem Heimatschutz im doppelten Sinne, dem Brauchtum und dem Militär. Während das österreichweite Netz aus Radaranlagen über die Grenzen Österreichs wacht, bewahrt das Brauchtum Traditionen und hält sie über stetige Wiederaufführung aufrecht. Beiden Goldhauben ist dabei inhärent, dass sie das “Eigene” über die Grenzziehung zum „Anderen“ definieren.

 

Auf zarten und fein zusammengenähten Stoffen, die nur mit Nägeln an die Wand angebracht sind, entwirft Julia Zöhrer (geb. 1992 in Gmunden, lebt Linz) ihre fantastischen Figurenwelten. Mit Werktitel wie „Eating All Your Queens And Kings, Blessed And Burned And Godless Underneath”, unterstützt sie dieses Unterfangen.

 

Der Filmemacher und Künstler Johannes Gierlinger (geb. 1985 in Salzburg) zeigt mit dem 98-minütigen, auf 16 mm gedrehten essayistischen Film „Die vergangenen Zünfte“ eine politisch-poetische Reflexion über das Wesen und Wirken von Revolutionen. Exemplarischer Ausgangspunkt ist die Märzrevolution 1848 in Wien. Der Film verbindet historische Kämpfe mit heutigen Formen des Widerstands und reflektiert wie sich kollektive Erinnerungen in die Gegenwart einer Stadt und ihrer Bewohner_innen einschreibt. (Zitat Künstler)

In der Arbeit „ohne rückgabe ohne garantie“ liest die Künstlerin Lisa Großkopf (geb. 1989 in Wien, lebt in Wien) in einem 17-minütigen Video diverse private Verkaufsangebote von Kunstwerken vor, die sie 2021 auf einer Internetplattform gefunden hat. Der Kleinanzeigentext eröffnet eine Parallelwelt zu den gängigen akademisch bestätigten Kunsttheorien und kunstbetriebsinterner Diskursen und kommentiert damit ironisch die Suche nach einem allgemein verständlichen Kunstbegriff. Die Künstlerin hat die digitalen Kleinanzeigen in einer limitierten Buchausgabe zusammengefasst, die im Salzburger Kunstverein erhältlich ist.

 

Die Verdichtung des Atelierraums setzt auch der Maler Jari Genser (geb. 1983 in Salzburg, lebt in Wien) in seiner Bildserie „Strafe“ um, indem er nicht die Arbeitsmaterialien schichtet, sondern die Ateliersituation in der in Entstehung befindlichen Bildkomposition ins Unendliche wiederholt. Diese paradoxe Dopplung lässt nicht nur die Ebene der Zeit, sondern auch den realen Atelier- mit dem fiktiven Bildraum verschwimmen.

 

Das Atelier, als Ort künstlerischer Praxis, eignet sich Elisabeth Grübl (geb. 1961 geboren in Tamsweg, lebt in Wien) von ihren Kolleg_innen im sprichwörtlichen Sinne seit 2007 an, indem sie sämtliche vorgefundenen Ateliergegenstände zu einem Kubus schichtet und fotografiert. In der Ausstellung zeigt sie das „Studio # 7 Thomas Roth / Frankfurt“ und das „Studio # 16 Walter Niedermayr / Bozen“.

 

Der seit 2001 in Salzburg ansässige Verein für Kulturvermittlung ARTgenossen initiiert einen Publikumspreis anlässlich der Mitglieder_innenausstellung des Salzburger Kunstvereins und macht zusätzlich auf die monetäre Situation der Künstler_innen aufmerksam. Die Besucher_innen sind eingeladen, mittels persönlichem Votum den Preisträger oder die Preisträgerin zu ermitteln und werden gebeten mit der Stimmabgabe auch eine Spende abzugeben, deren Gesamtsumme das anschließende Preisgeld darstellt. Der Preis wird am Ende der Ausstellung vergeben. Wir hoffen auf ihre großzügige Teilnahme!

Den Stadtraum als performativen Begegnungsort stellt auch Beate Ronacher (geb. 1979 in Salzburg, lebt in Hallein) in den Fokus ihrer künstlerischen Praxis. Zuletzt hat sie 2021 die Performance „Fußfälle (Extended)“ im Salzburger Stadtraum realisiert. Auf einem körperlangen, grauen Abdeckfließ mit einem rot aufgemalten Kreuz, legte sie sich an unterschiedlichen Orten auf den Boden im Außenraum. Im Rahmen der Mitgliederausstellung zeigt sie die drei Arbeiten „Resurrection Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5“, die auf die oben besprochenen Performances Bezug nehmen.

 

Tina Hainschwang (geb. 1986 in Salzburg, lebt in Salzburg) flutet mit ihren bizarren und grotesken Haarquallen den Ausstellungsraum des Künstler*innen Hauses. Wir hauchen den über uns von der Decke tanzenden Objekten Leben ein und lassen sie zu einem Naturschauspiel gleichen Kosmos ungewöhnlicher Begegnungen werden.

 

Einer anderen politischen Erinnerungskultur nähert sich die Werkserie „Anthropocene Blues“ von Elisabeth Schmirl (1980 in Salzburg, lebt in Sbg. und Wien) an, deren Ausstellungstitel einem Gedicht der amerikanischen Beat Poetin Anne Waldmann (geb. 1945/US) entlehnt ist. Hierzu verwendet sie Archivaufnahmen von Experimenten amerikanischer Wetterstationen, die stereotyp immer Frauen zeigen, die angehalten sind vor dem Freisetzen des Wetterballon, diesen für die fotografischen Dokumentation zu halten. In ihren aufwendig überarbeiteten Diazotypien, einem chemisch-fotografischen Lichtpauseverfahren, verfremdet sie das historische Bild und überschreibt es mit einem politischen Kontext, der bis in die Gegenwart reicht und dem Titel der Arbeit entsprechend, den Eingriff des Menschen in die Umwelt dokumentieren.

 

Seit 2021 programmiert Manuel Tozzi (geb. 1994 in Salzburg, lebt in Berlin) ein neuronales Netzwerk, das auf Basis eines Machine Learning Algorithmus bisher 15 prosaische Texte unter dem Werktitel „Gedichte einer romantischen Maschine“ geschrieben hat. Das Gedicht, das den modernen „technoromantischen“ Menschen entlarvt und sich auf den Algorithmus einer poetischen Kreativität stützt, ist gleichzeitig ein ironischer Kommentar zur gegenwärtigen Situation in Kunstbetrieb.

 

Motahar Amiri (geb. 1985 in Tehran geboren, lebt in Salzburg) fast mit „The Monster In Cocoon And The Weeping Trees“ seine fotografische Reise durch Tschechien und die Slowakei im Jahr 2018 zusammen. Augenfällig waren für ihn die aus der zurückliegenden Ära verlassenen Gebäudekomplexe, die ihre Funktion verloren hatten, aber zunehmend von Menschen neu genutzt wurden. Amiri begann in Porträts die Geschichten der Menschen zu erzählen.

 

Den politischen Systemwechsel thematisiert auch Eginhartz Kanter (geb. 1984, lebt in Linz) anhand der obsolet gewordenen Plattenbau-Architektur der ehemaligen DDR, indem er auf die fensterlose Breitseite großflächig den Satz: „Was wäre nur aus mir geworden“ aufmalt und abfotografiert. Das verwaiste und standardisierte Schnellbauverfahren zur Wohnraumgewinnung, wird damit zur persönlichen Rest-Erinnerung jener ehemaligen Bewohner und den damit verbunden biografischen Brüchen und ideologischen Überschreibungen.

Das Motiv der abstrakten Formfindung übernimmt Julia Brennacher (geb. 1983 in Innsbruck, lebt in Innsbruck) ebenfalls in ihren kleinformatig, pastell-farbigen Ölbildern. Die Formgebung mutet der Pinselbreite des Malauftrages an und ergänzt sich zu einer rhythmisch ausgewogenen Flächenkomposition.

 

Nicole Prutsch (geb. 1980 in Ö, lebt in Cambridge) verwebt kurze Experimentalfilm-Sequenzen aus historischen Filmfragmenten der Wissenschaftsgeschichte zu abstrakten Collagen, die wie rhythmisch pulsierenden Körperfragmenten anmuten. Sie zitiert z.B. in „T, A, T“ (2020) ein in den 1930ern von Henry A. Murray und Christina D. Morgan entwickeltes, psychologisches Testverfahren, auf Basis dessen die Klienten Geschichten anhand 32 unterschiedlicher Bildpostkarten erzählen mussten. Oder in „Cuts and Shifts – after Potteau“ (2019) bezieht sie sich auf den gleichnamigen französischen Anthropologen.

 

Die fotografischen Überblendungen von Gunda Gruber (geb. 1971 in Salzburg, lebt in Salzburg) übersetzen den Körper in Ornamente. In der Werkserie „Konnex“ (2021) durchmisst die Künstlerin ihren eigenen Körper mit projizierten weiß/ schwarz und rot farbigen Formelementen.

 

Einer feministischen Reflektion und Revision setzt Isabella Heigl (geb. 1989 in Haag am Hausruck, lebt in Salzburg) das Künstlerhaus in seiner Namensgebung an der Fassade aus, in dem sie es temporär für die Ausstellungszeit in Künstler*innenhaus umbenennt. Inzwischen verstehen wir unsere Gegenwart in einer Neubeurteilung der Geschlechterwahrnehmung und -bezeichnung. Deswegen hoffen wir, dass diese Arbeit Bewusstsein und Diskussion zu diesem Thema öffnet.