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Studio Space
14.10.2017 - 26.11.2017

Coming to See

... So sehr die Kunst ein Himmelskörper für sich ist, der unbeirrt seine Kreise zieht und sich um seine eigene Achse dreht, so empfängt er doch sein Licht von dieser Welt der Wirklichkeit und wenn die guten Geister der Kunst ihre Spiegel für den heutigen Tag auch streng verhüllen, so ist doch nicht anzunehmen, daß der ungeheure Weltenbrand für die Dauer ohne dichterischen Wiederschein bleiben wird. Ganz gewiß wird die Zukunft ihr neues Licht, neue Liebe und neues fruchtbares Leben schenken.
Max Reinhardt, 1917 

Für die Ausstellung Coming to See hat Annelies Senfter still einige Elemente aus Schloss Leopoldskron zusammengefügt, welches der Künstler und Theaterregisseur Max Reinhardt besaß und renovierte, bis die Nazis es sofort nach dem Anschluss 1938 konfiszierten. Die Ausstellung ist jedoch weder ein Porträt von Reinhardt noch eine Hommage an seine Theaterarbeit. Stattdessen besteht sie aus einer bescheidenen Ansammlung von Gegenständen, die die Künstlerin entweder fotografiert hat oder ausstellt, und die alle um ihre gegenwärtigen Anliegen als in Salzburg lebende Künstlerin kreisen. Diese Anliegen kollidieren ganz sporadisch und natürlich mit den oben von Reinhardt festgehaltenen Gedanken. 

Konkret hat Senfter einen antiken Spiegel fotografiert, der einst Reinhardt gehörte (und in den er hineingeschaut hat), sie hat eine Vielzahl von Kastanien aus Schloss Leopoldskron ins Kabinett gebracht, und einen weiteren Spiegel, der vormals Reinhardt gehörte (und in den er hineingeschaut hat – das Schloss hat diesen kürzlich auf einer Auktion in Berlin erworben), in der eigentlichen Ausstellung aufgestellt.

Vom Flur aus, vor dem Betreten der Ausstellung und dem Betrachten all ihrer Inhalte, erhaschen wir einen Blick auf einen antiken Spiegel, halb im Schatten, der dennoch weiterhin ein Spiegelbild zeigt. Die Töne und Farben verbreiten einen Hauch herbstlicher Melancholie. Kratzer und Schadstellen zieren den Spiegel, wie Haut, die in einem alternden Gesicht nachgibt. In der Mittelgalerie steht ein großer, gerahmter Spiegel in der Mitte des Raums, umgeben von Hunderten von Kastanien. Ähnlich Reinhardts eigenen Gedanken versprechen diese Kastaniensamen von den Bäumen aus Leopoldskron – von denen viele schon turbulente und ruhigere Jahrzehnte erlebt haben – neue Lebensgenerationen, solange Licht auf sie fällt.

Annelies Senfters Arbeiten sind zwischen Fotografie, Recherche und poetischer Erforschung angesiedelt, wobei sie Begriffe der Erinnerung und des Traumas untersucht. In ihren Arbeiten schwingt ein Drängen mit, unterdrückte Themen aufzudecken, ohne dabei negative Gefühle aufzuwühlen. Somit bringt diese Ausstellung diese wenigen Elemente zusammen, darunter auch das fotografische Werk der Künstlerin, um 100 Jahre zurückzuschauen und damit nicht nur die Zeit, die zwischen jenem Augenblick und unserem eingefangen ist, zu bewerten, sondern auch die Unmittelbarkeit unserer kollektiven Gegenwart. Durch all diese Zeit hindurch überlebt die Kunst, dieser große, reine Spiegel, in dem wir Menschen uns betrachten dürfen. Und wenn wir entscheiden, dieses Spiegelbild nicht anzusehen, entsteht das Spiegelbild trotzdem, und andere können es sehen.

Der Salzburger Kunstverein bedankt sich bei Thomas Biebl und Daniel Szelényi von Schloss Leopoldskron und dem Salzburg Global Seminar für die Unterstützung dieser Ausstellung durch die Leihgabe eines jüngst erworbenen Spiegels aus dem Nachlass Max Reinhardts.

Annelies Senfter, geb. 1980 in Lienz, lebt und arbeitet in Salzburg und Lienz.